Mähdrescher, Hilfeleistungslöschfahrzeug und Rettungswagen
ausgerichtet vom Landratsamt Ludwigsburg am Samstag, dem 9.9.2023, auf dem Haldenhof in Hemmingen. Die einmal im Jahr angebotene Ausbildungsveranstaltung ist im württembergischen Landesteil einzigartig, lediglich in Südbaden gibt es eine ähnliche Schulung. Drei Eigenschaften bilden beim VU4-Lehrgang, wobei VU für Verkehrsunfall steht, die Alleinstellungsmerkmale:
- Es werden lediglich simulierte (Verkehrs-)Unfälle mit landwirtschaftlichen Nutzgeräten unterschiedlichster Art abgearbeitet.
- Die Einsatzübungen werden interdisziplinär sowohl von Feuerwehrkräften als auch Angehörigen des Regelrettungsdienstes gemeinsam durchgeführt, analog zu Realereignissen.
- Die Übungsszenarien werden nicht von einem Ausbilder abgearbeitet bzw. angeleitet, stattdessen erarbeiten die Teilnehmer nach dem Prinzip „learning-by-doing“ selbstständig Lösungsmöglichkeiten. Die jeweiligen Stationsausbilder hielten sich im Hintergrund und griffen nur ein, wenn es nötig wurde. Wie bei „echten“ Einsätzen, bildeten eine Löschgruppe mit Gruppenführer und die Besatzung eines Rettungswagens die ersteintreffenden Komponenten.
Bei der diesjährigen Veranstaltung konnte Lehrgangsleiter Thomas Schmidt, Zugführer der Feuerwehr Korntal-Münchingen und langjähriger Kreisausbilder, insgesamt 27 Feuerwehrangehörige und 25 Mitarbeiter des Rettungsdienstes begrüßen. Die Floriansjünger kamen von den Feuerwehren Affalterbach, Asperg, Benningen, Ditzingen, Korntal-Münchingen, Mundelsheim, Oberstenfeld, Remseck, Tamm und Vaihingen/Enz. Die Einsatzkräfte des Rettungsdienstes gehörten den drei Hilfsorganisationen Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz und Johanniter-Unfall-Hilfe an.
Das Team um Thomas Schmidt hatte vier anspruchsvolle Übungsszenarien vorbereitet, die es für die Teams bei strahlendem Sonnenschein zu bewältigen galt. Die einzelnen Stationen wurden vor Beginn ausführlich vorgestellt und die Eigenschaften der landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge erklärt.
Erstes Übungsszenario war eine unter die spitzen Zinken einer Egge geratene Arbeiterin. Eine der Zinken hatte sich dabei in die Patientin „gebohrt“. Nach der rettungsdienstlichen Erstversorgung musste die Zinke schonend, ohne die Verunfallte weiter zu verletzen, von der Feuerwehr entfernt werden. Anschließend galt es die Patientin schonend, in enger gemeinsamer Absprache von Feuerwehr und Rettungsdienst, aus dem Gefahrenbereich zu retten und in den Rettungswagen zu verbringen.
Bei Übungseinsatz Nummer 2 ging es, im wahrsten Sinne des Wortes, deutlich massiver zur Sache. Ein Pkw war, so die Annahme, auf einen gewaltigen Pflug aufgefahren, die stählernen Scharen hatten sich teilweise in den Pkw gebohrt und die Fahrerin eingeklemmt. Ein nachfolgender Transporter konnte nicht mehr bremsen und fuhr auf den Pkw auf, wodurch die Zugänglichkeit noch mehr erschwert wurde. Da sich auf der Fahrerseite des Pkw zudem eine Stützmauer befand, konnten sich Feuerwehr und Rettungsdienst nur über die Beifahrerseite der verunfallten Fahrerin nähern. Trotz dieser komplexen Situation gelang es allen Teams, wieder in enger Zusammenarbeit und Absprache, die Patientin mit Hilfe des hydraulischen Rettungssatzes zügig zu retten und dem Rettungsdienst zu übergeben.
An Station Nummer 3, warteten gleich zwei Übungsszenarien auf die Kräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst. Beim Übungsobjekt handelte es sich um einen riesigen, dreieinhalb Meter breiten Mähdrescher, an dem neben einem Verkehrsunfall auch ein internistischer Notfall simuliert wurde. Beim angenommenen Unfall handelte sich um einen Fahrradfahrer, der vom Mähwerk erfasst und darunter eingeklemmt wurde. Auch hier wurde der Patient rettungsdienstlich erstversorgt, während die Feuerwehr die Lage erkundete und die Maßnahmen zur Befreiung des Patienten einleitete. Die Schwierigkeiten bei dieser Übung waren die gewaltigen Ausmaße des Nutzfahrzeugs und die unzähligen scharfen Anbauteile am Mähwerk, vor denen Patient und Einsatzkräfte geschützt werden mussten.
Nachdem der Fahrradfahrer befreit war, wartete noch der zweite Patient auf seine Rettung. Im Gegensatz zu den drei vorgehenden Einsatzszenarien handelte es dabei nicht um einen Unfall, sondern um einen medizinischen Notfall in der Fahrerkabine des Mähdreschers. Der Fahrer hatte während Fahrt einen Schlaganfall erlitten und befand sich in über zwei Meter Höhe in seiner engen Kanzel. Da er auf Grund seines „Gesundheitszustandes“ diese nicht selbstständig verlassen konnte, kam neben einem Rettungswagen auch wieder ein Hilfeleistungslöschfahrzeug zum Einsatz. Während der Erstversorgung durch die Kräfte des Rettungsdienstes stellten die Feuerwehrleute eine Rettungsplattform auf und ein Spineboard bereit. Bei der Rettungsplattform handelt es sich um ein zusammenklappbares Alu-Gerüst, auf dessen Plattform ein sicheres Arbeiten an hohen Fahrzeugen wie LKW, Bus oder auch Mähdrescher möglich ist. Das Spineboard ist ein Brett aus stabilem Kunststoff, in das eine Vielzahl von Griffen eingearbeitet sind. Mit diesem Rettungsbrett können Patienten achsengerecht aus den verschiedensten Zwangslagen gerettet werden. So auch bei diesem Übungsszenario, nachdem der Fahrer des Mähdreschers stabilisiert worden war, wurde er gemeinsam von Feuerwehr und Rettungsdienst auf das Spineboard gelagert und vorsichtig mit vielen helfenden Händen aus der Kabine auf Erdgleiche gebracht.
Alle Übungen wurden nach erfolgter „Rettung“ des jeweiligen Patienten ausführlich von den Stationsausbildern mit den eingesetzten Teams besprochen und mögliche Einsatzvarianten diskutiert.
Gegen 15 Uhr waren alle „Einsätze“ erfolgreich abgearbeitet, die „Patienten“ versorgt und die Fahrzeuge wieder einsatzbereit, so dass sich zum Übungsabschluss alle Teilnehmer und Ausbilder zur gemeinsamen Abschlussrunde in der Scheuer des Haldenhofes versammeln konnten. Lehrgangsleiter Thomas Schmidt zeigte sich sehr zufrieden mit dem Verlauf des Lehrgangs und dankte sowohl Teilnehmern als auch Ausbildern für die, trotz hochsommerlicher Temperaturen, erbrachten Leistungen während der Übungen.
Sämtliche Teilnehmer zeigten sich ausnahmslos begeistert vom Ausbildungstag und dankten dem Ausbildungsteam für die anspruchsvoll gestalteten Übungsszenarien. Von Seiten der Feuerwehrangehörigen wurde positiv hervorgehoben, dass, anders als im Übungsbetrieb in den Wehren, hier realitätsnah mit Einheiten des Regelrettungsdienstes geübt werden konnte, was für die Zusammenarbeit und Absprache an realen Einsatzstellen enorm wichtig sei. Dem schlossen sich die Mitarbeiter des Rettungsdienstes vollumfänglich an. Unter den Rettungsdienstkräften befanden sich viele Notfallsanitäter-Azubis, die sich begeistert darüber zeigten, dass sie ihr Wissen bei sehr wirklichkeitsgetreuen Übungen erweitern konnten, was so bei den in den Rettungsdienstschulen abgehaltenen Übungseinsätzen nicht möglich sei.
Pünktlich um 15:30 Uhr beendete Thomas Schmidt den Lehrgang und stellte in Aussicht, dass bei der Neuauflage des VU4-Lehrgangs im nächsten Jahr versucht werde auch Notärzte als Teilnehmer zu gewinnen, um die Übungen noch realer zu gestalten.